Pfr. Sauer: Predigt Himmelfahrt (Text)
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen
Stille
Liebe Gemeinde,
„aus den Augen, aus dem Sinn“ sagt ein Sprichwort. Ist jemand erst mal weg ist er schnell vergessen – oder vergisst die, die zurückbleiben.
Die Himmelfahrt Jesu beschreibt auch einen Moment, in dem Jesus „aus den Augen“ entschwindet. Das Lukasevangelium berichtet davon. Jesus führt seine Jünger nach Betanien, segnet sie und „als er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel.“ (Lk 24,51)
Aus den Augen ist Jesus. Er ist körperlich nicht mehr da. Aber er hatte seinen Jüngerinnen und Jüngern versprochen ganz neu für sie da zu sein. Aus den Augen ja, aber eben nicht aus dem Sinn. Himmelfahrt heißt: Jesus ist weg und doch zugleich ganz neu da.
Ich habe mich gefragt, wie man das vergleichen könnte, dass jemand weg ist und dann doch auf ganz neue Art und Weise da.
Dazu ist mir ein Roman in den Sinn gekommen, den ich vor kurzem gelesen habe. Der Roman spielt in den 20er Jahren in New York. Es geht um einen jungen Mann, der die Gabe hat Geschichten so erzählen, dass er andere damit nicht nur fesselt, sondern auch beeinflusst. Sein Traum ist es, irgendwann im Radio zu hören zu sein. Das Radio war damals erst im Entstehen begriffen und ein ganz neues Medium. Die Menschen waren fasziniert davon, dass sie jemanden hören konnten, der gar nicht da war (genau so, wie manch älteres Gemeindeglied heute erstaunt ist, dass der Pfarrer auf einmal im Tablet zu sehen ist…) Mit Hilfe zweier Freunde schafft er es dann auch. Sie bauen einen geheimen Radiosender auf. Die Behörden suchen den Sender, aber weil alle dicht halten und ihnen der junge Mann unbekannt ist, finden sie ihn nicht. Er ist weg. Und trotzdem da. Mit den Worten „Guten Abend New York“ geht er auf Sendung und die halbe Stadt steht still, weil alle gebannt seinen Geschichten, die das wilde Leben New Yorks beschreiben, lauschen.
Der junge Mann ist weg, „aus den Augen“ und trotzdem höchst präsent, weil er zu hören ist. Für die Menschen damals faszinierend. Wie gesagt, es waren die Anfänge des Radios.
Weg und doch da sein. Das meint Himmelfahrt.
Jesus ist „aus den Augen“ aber sein Versprechen ist, dass er ganz neu in den Sinnen seiner Jüngerinnen und Jünger ist. Und deswegen soll auch weiterhin bei ihnen gelten, was er gesagt und gelebt hat. Sein Vermächtnis soll gewahrt bleiben.
Und dieses Vermächtnis, seinen letzten Willen, hören wir jetzt als Predigttext. Es sind Worte aus dem letzten Gebet, das Jesus spricht, bevor er ins Leiden geht. Da betet er – auch für uns.
Predigttext Joh 17, 20-26
Jesus bittet um die Einheit seiner Gemeinde. Er will, dass „sie alle eins seien“. Die Einheit zwischen uns Christinnen und Christen hängt also nicht in erster Linie von unserem Wollen und unserem guten Willen ab, sondern von der Fürbitte Jesu. Er bittet, dass wir alle „eins seien. Wie du Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein“. Später sagt er: „auf dass sie eins seien, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir…“ (V22f)
Gott, der Vater, ist in Jesus, dem Sohn, und wir wiederum sollen in ihnen sein und Jesus in uns.
Die Einheit wird nur dann bestehen, wenn es dieses Ineinander aller gibt. Aber wie entsteht dieses Ineinander aller und damit einen Einheit?
Vielleicht kann man es wirklich mit dem Radio vergleichen. Diese junge Mann in New York erzählt in faszinierender Weise seine Geschichten und alle hören ihm zu. Über diese Radiosendung „Guten Abend New York“ entstand eine Gemeinschaft, die die verschiedensten Menschen aus den verschiedensten Schichten miteinander verbunden hat. Reiche und Arme, rechtschaffene Bürger und Gauner haben sich an ihren Radios versammelt und waren über Grenzen hinweg verbunden, weil sie auf die Erzählung eines jungen Mannes gelauscht haben.
Und genau so verbindet Jesus auch uns heute. Nicht nur uns, sondern weltweit. Indem wir auf ihn hören werden wir zu einer Einheit. Natürlich, diese Einheit wird immer wieder infrage gestellt. Durch Streitigkeiten, durch Unstimmigkeiten, durch viele andere Dinge.
Wir erleben das ja gerade. Corona und die Frage wie Mann oder Frau zu den Beschränkungen steht, entzweit im Moment viele Menschen. Auch innerhalb unserer Gemeinden. Die einen halten viele Beschränkungen einfach nur für beschränkt. Andere sehen gerade in den Beschränkungen ein weises und umsichtiges Handeln der Politik.
Wenn Jesus um die Einheit bittet, dann heißt das nicht, dass wir innerhalb der Gemeinde alle dieselbe Meinung teilen müssten – sei es zu Corona oder zu anderem. Aber es heißt doch, dass wir alle immer wieder unter sein Wort, also Gottes Wort, kommen müssen, es hören und uns von ihm neu ausrichten lassen müssen. Das ist das eine, wovon unsere Einheit als Gemeinschaft weiterhin abhängt. Und so, wie der Sohn für den Vater lebt und umgekehrt der Vater dem Sohn alles gibt, so soll es auch in der Gemeinde sein, sagt Jesus. Anders gesagt: Nur wenn wir füreinander sind im Sinne eines füreinander da sein – auch wenn wir unterschiedliche Meinungen haben, auch wenn es manchmal Missverständnisse, ein böses Wort oder Streit gibt – aber nur dann wenn wir füreinander da sind, entsprechen wir dem Willen Jesu. Das ist das dritte, das es für die Einheit braucht.
Und nur dann wird die Welt auch glauben, wie Jesus sagt (V21). Nur wenn wir anderen vorleben wie es im Sinne Jesu gehen kann, wenn wir nach-leben, was er uns vor-gelebt hat, nur dann werden wir glaubhaft sein!
Und dabei ist eines entscheidend. Jesus sagt es am Ende unseres Predigttextes so: „Ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich liebst, in ihnen sei und ich in ihnen.“
Es geht nur mit Liebe. Die Einheit wird nur in und mit Liebe möglich sein. Und das wünsche ich mir auch für uns. Nein, ich habe nicht den Eindruck, dass wir völlig zerrüttet wären. Aber die Spaltungen, die es im Moment gibt, betreffen uns auch. Da gehen ganze Risse durch Familien und Nachbarschaften.
Ja, wir müssen auch als Christinnen und Christen miteinander streiten können. Aber mit Liebe! Das hört sich vielleicht komisch an, aber das geht. Denn die Liebe unterscheidet die Person von dem, was sie sagt oder tut. So hat es Jesus z.B. auch bei der Ehebrecherin gehalten, die auf frischer Tat ertappt und dann zu ihm gebracht wurde. Ihr Verhalten hat er nicht gebilligt. Aber als Person hat er sie nicht verworfen. Und deswegen hat er ihren Anklägern gesagt: „Wer von euch ohne Sünde ist werfe den ersten Stein.“ Das haben wir von ihm gehört. So hat er‘s uns vorgelebt.
Liebe heißt nicht: Alles ist ok. Liebe heißt nicht ich bin ok, du bist ok, alle sind ok. Nein! Jesus hat in der Geschichte mit der Ehebrecherin in aller Deutlichkeit gesagt, was nicht geht.
Und das dürfen und müssen wir auch! Es geht beispielsweise nicht, dass leichtfertig über das Leben älterer Menschen geurteilt wird, wenn manche sagen: „Wir schützen das Leben von Menschen, die in einem halben Jahr sowieso gestorben wären.“ Solche Aussagen kann ich mit dem christlichen Glauben nicht vereinbaren! Denn hier wird darüber geurteilt, welches Leben noch lebens- und damit erhaltenswert ist und welches nicht. Da müssen wir in aller Deutlichkeit sagen: Nein, so nicht!
Aber die Liebe unterscheidet die Person von dem, was sie tut oder sagt. Und so können und sollen auch wir diskutieren und streiten. Aber so bleibt die Achtung voreinander. Und das ist entscheidend!
Hören wir deswegen am Ende noch einmal auf Jesu Gebet: „Ich bitte dich, Vater, dass sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, auf dass die Welt glaube, dass du mich gesandt hast.“
Amen.