Pfarrer Sauer: Predigt zum 3. Advent 2021 – 1. Korinther 4, 1 – 5

Gnade sei mit euch von dem der da war und der ist und der da kommt. Amen.

Stille

Liebe Gemeinde,
ich schaue nicht so oft Fernsehen. Und wenn, dann nicht die Sendungen, von denen ich gleich rede. Aber mir fällt auf, dass es inzwischen viele solcher Sendungen gibt. Sendungen, die das Ziel haben, einen Besten/Beste zu küren. Und damit verbunden ist zugleich viel Lob, aber auch viel Kritik an denjenigen, die sich in diesen Shows präsentieren.

Ich will mal einige nennen: Natürlich Deutschland sucht den Superstar, The voice of germany, The voice kids, Ninja worrior usw.
Alles Castingshows, in denen Menschen be-urteilt und oft auch ver-urteilt werden. Manchmal gnadenlos. Berühmt dafür war Dieter Bohlen in der Show DSDS – wahrscheinlich ist er aufgrund seiner Sprüche nicht mehr Teil der Jury. Einem vermeintlichen Talent hat er folgendes gesagt: “Das wird nie was. Diese Tanzerei war ein nettes Dessert, hat mir gut geschmeckt. Der Gesang war wie so eine Fischvergiftung.”

Solche Aussagen allein – und das ist noch eine der harmloseren, die ich im Netz gefunden habe – sind schon schlimm. Erstaunlich ist doch aber, dass ein Millionenpublikum dabei zuschaut und sich dabei schlapplacht.

Scheinbar haben wir Menschen Freude am Bewerten anderer, am Urteilen, ja am Zum-Gericht-Sitzen über andere.

Das hat schon der Apostel Paulus erfahren müssen. Er war in der Gemeinde in Korinth harscher Kritik ausgesetzt. Kränklich sei er, seine Predigten nichtssagend und sein Auftreten in der Gemeinde schwach.

Predigttext: 1. Kor 4, 1-5 (Basisbibel)
1Dafür soll man uns halten: für Diener von Christus und Verwalter von Gottes Geheimnissen.2Nun verlangt man ja von Verwaltern, dass sie zuverlässig sind.3Aber mir ist es völlig gleichgültig, ob ihr oder ein menschliches Gericht mich beurteilt. Ja, ich beurteile mich nicht einmal selbst.4Ich bin mir zwar keiner Schuld bewusst. Aber deswegen gelte ich noch nicht als gerecht. Nur der Herr kann über mich urteilen.5Urteilt also nicht schon jetzt. Wartet, bis der Herr kommt! Er wird alles ans Licht bringen, was im Dunkeln verborgen liegt, und die geheimsten Absichten enthüllen. Dann wird jeder von Gott gelobt werden, wie er es verdient.

„Urteilt nicht schon jetzt. Wartet, bis der Herr kommt! Er wird alles ans Licht bringen, was im Dunklen verborgen liegt, und die geheimsten Absichten enthüllen.“

Vielleicht hätte Paulus es auch so sagen können: „Leute, verkneift euch das Richten. Vor allem letzte und letztgültige Urteile über Eure Mitchristen und auch Mitmenschen. Denn ihr seht nie alles an einem Menschen. Das sieht nur Gott. Und deswegen steht auch ihm allein das letzte Wort über uns Menschen zu. Also hütet eure Zunge vor zu harschen Urteilen über andere!“

Das in der Adventszeit zu hören ist nicht so einfach. Ich weiß. Wir sind gerade doch in dieser Zeit, mehr als zu anderen Zeiten, auf Harmonie aus. Schön soll’s sein. Wohlfühlen wollen wir uns. Kritik, Selbstkritik, ist da irgendwie schwierig.

Aber, liebe Gemeinde, Adventszeit ist Bußzeit. Es ist ursprünglich eine Zeit der Besinnung. Und die ist wichtig. Denn im Moment werden so viele Urteile gefällt, auch harte. Ungeimpfte urteilen über Geimpfte und umgekehrt auch. Oft harsch. Bürger urteilen über Politiker und umgekehrt auch. Nachbarn über Nachbarn usw.

Und manchmal kippt das Ganze in eine Richtung, die gefährlich wird. Geschehen in dieser Woche, in der Nähe von Grimma. Rechtsextreme und andere ziehen mit Fackeln und Trommeln vor das Haus der SPD-Politikerin Petra Köpping, vermeintlich um Kritik an den Coronamaßnahmen zu äußern. In Wahrheit geht es aber schlicht um Einschüchterung.

Das hat nichts (!) mit Kritik zu tun. Hier ist die Grenze klar überschritten worden. Solche Fackelzüge hatten wir bereits in unserem Land. Wir brauchen sie nie wieder!

Urteilen dagegen müssen und sollen wir. Und deswegen ist es gut, wenn Paulus uns heute Fragen stellt, die wir ehrlich beantworten sollten.

„Was richten meine Worte an? Wo bin ich festgelegt in meinem Urteil über andere? Wo hege ich Vorurteile, die ich gerne pflege? Wen habe ich abgeschrieben?“

Diese Fragen sind uns heute gestellt. Wir sollten sie ehrlich beantworten und uns dabei das sagen lassen, was Gott dem Propheten Samuel auch einmal gesagt hat: „Der Mensch sieht, was vor Augen ist. Der HERR aber sieht das Herz an!“ (1. Sam 16, 7) Wir sehen nie alles an einem Menschen. Das sieht nur Gott.
„Urteilt nicht schon jetzt…“ Das ist das eine.

Aber mit dem Urteilen über andere ist ja oft ein weiterer Gedanke verbunden. Nämlich nicht nur der Gedanke: „Die anderen sind schuld oder liegen falsch.“ Sondern auch: „Ich bin im Recht. Bei mir ist alles ok.“

Sollte das der Fall sein, rät uns Paulus zur Vorsicht: Er schreibt bei allen Vorwürfen, die er von Seiten seiner Gegner hört: „Ich bin mir zwar keiner Schuld bewusst. Aber deswegen gelte ich noch nicht als gerecht. Nur der Herr kann über mich urteilen.“

Liebe Gemeinde, nicht einmal ein letztes Urteil über mich selber kann ich eigentlich fällen. Weder ein positives im Sinne eines übersteigerten Selbstbewusstseins, noch ein negatives, das das eigene Licht unter den Scheffel stellt und die Schuld immer nur bei sich selbst sucht. Auch das gibt es ja bei uns Menschen.

Auch für uns selbst gilt: „Der Mensch sieht, was vor Augen ist. Der HERR aber sieht das Herz an!“

Und natürlich dürfen wir uns das auch selbst sagen, wenn andere über uns urteilen. So wie uns kein letztgültiges Urteil über andere zusteht, so steht es umgekehrt niemandem über uns zu.

Es gilt, was Paulus sagt: „Wartet, bis der Herr kommt! Er wird alles ans Licht bringen, was im Dunklen verborgen liegt, und die geheimsten Absichten enthüllen. Dann wird jeder von Gott gelobt werden, wie er es verdient.“

Aber nun warten wir ja schon ziemlich lange. 2.000 Jahre und der Herr lässt uns immer noch warten… Was tun während wir warten?

Bis dahin soll man uns „für Diener von Christus und Verwalter von Gottes Geheimnissen“ halten. Das „Geheimnis Gottes“ ist das Kreuz. Im Kreuz zeigt Gott seine Liebe zu uns Menschen. Und dass das keine theologische Phrase ist, zeigt das, was Jesus selbst am Kreuz sagt. In der letzten Stunde seines Lebens, als er von Menschen verspottet, verhöhnt und gefoltert wird, betet er und sagt: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“

Jesus vergibt denen, die ihn töten. Sie wissen nicht, was sie tun. Sie wissen nicht, mit wem sie es zu tun haben.

Jesus trifft hier – und auch an anderen Stellen – eine wichtige Unterscheidung. Er unterscheidet Menschen von dem, was sie getan/nicht getan, gesagt/nicht gesagt haben.

Für Jesus gilt: Die Person, der Mensch, ist mehr als die Summe seiner Taten. Selbst für seine Mörder beansprucht er vor Gott: Sie sind mehr als das, was sie grad mit mir tun.

Wäre das nicht auch eine hilfreiche Unterscheidung, die uns helfen könnte? Natürlich müssen wir auch immer wieder urteilen; die Dinge einsortieren; auch das, was unsere Mitmenschen tun.
Aber wenn wir dabei zwischen dem Menschen und dem, was er/sie getan hat, unterscheiden, dann werden wir hoffentlich vor letztgültigen Urteilen und Verurteilungen abgehalten.

Ich glaube, in dieser schwierigen Zeit brauchen wir das dringender denn je!

Amen.

Der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre uns in Christus Jesus. Amen.

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