Pfrin Steiner: Predigt zum Volkstrauertag am 19.11.2023 in Wirbenz (Mt 25,31-46)

Gnade sei mit euch und Friede von dem,
der ist und der da war und der da kommen wird.

Lasst uns still werden und um rechtes Reden und Hören beten! —— Herr, erhöre uns!

Liebe Gemeinde!

Haben Sie schon einmal einen Blick hinter den Vorhang einer Bühne getan? Das kann mitunter recht ernüchternd sein. Wenn man etwas anderes sieht als erwartet. Und dann wird die Neugierde recht schnell bestraft oder sie weicht zumindest einer enormen Ernüchterung. So ähnlich mag es uns ergehen, wenn wir das Evangelium vorhin gehört haben. Da wird uns auch so ein Blick hinter den Vorhang, hinter die Kulissen Gottes gewährt. Der Blick weg von uns und dem, was sich auf unserer persönlichen Lebensbühne so alles abspielt, hinter den Vorhang der Bühne Gottes – wenn ich den Vergleich einmal anbringen darf.
Und auch hier kann die Ernüchterung groß sein.

Da wird uns ein Blick auf eine Gerichtsszene gewährt. Und was wir da im Einzelnen sehen und hören, ist gar nicht so einfach zu verkraften.
Wir sehen vor uns Christus, der auf einem Thron sitzt und vor ihm eine Vielzahl von Menschen. Und dieses Mal ist Christus nicht das liebe Kindlein in der Krippe, das wir in der vor uns liegenden Advents- und Weihnachtszeit besingen werden. Nein, es ist Christus, der richtet, der die Menschen aufteilt in „Schafe und Böcke“, wie es heißt, in Gute und Böse, in Sanftmütige und Gewalttätige.
In Menschen, die erdulden und leiden und in solche, die austeilen und unterjochen.

Ein König, der auf seinem Thron sitzt und richtet, der sollte gerecht sein. Das wird von ihm erwartet. Richten und gerecht, beide Wörter kommen von einem Wortstamm und hängen eng zusammen. Und damit einer gerecht entscheiden kann, dazu sind bestimmte Richtlinien und Kriterien notwendig. Und die nennt Christus auch: er gewährt uns Einblick in seinen Beurteilungskatalog, das ist eigentlich für uns eine große Hilfe. Denn da wissen wir, wie wir dran sind,  worauf es ankommt, wenn ER einmal über uns entscheiden wird.
Fühlen wir uns von einer dieser Gegebenheiten persönlich angesprochen und wenn ja, bei welcher?

  • hungrig: wer von uns hat in den letzten Jahrzehnten wirklich Hunger leiden müssen?
  • durstig: wir kennen da eher das Sprichwort da habe ich mir einen über den Durst getrunken…
  • fremd: selbst als Zugezogene in einer Gemeinde, die es den Neubürgern nicht immer einfach macht, dazuzugehören, ist das Wort „fremd“ nicht im
    Vollsinn angebracht – oder doch?
  • nackt: wenn ich mir überlege, was jedes Jahr bei der Altkleidersammlung säckeweise abgegeben wird; Kleidung, die uns überflüssig geworden ist, dann ist dies Antwort genug.
  • im Gefängnis: wir würden nicht hier sitzen, würden hinter uns die Türen verschlossen und verriegelt!
    Aber halt! Andere Türen von anderen Gefängnissen werden bei uns zugemacht. Da wird einer verurteilt, weil er einen großen Fehler begangen hat; dieser wird ihm ewig nachgetragen, auch wenn er sich längst entschuldigt hat (wobei eine Form der Entschuldigung und Reue schon wichtig ist für die Vergebung). Hinter diesem Menschen werden auch Türen zugemacht, die ihn unter Umständen mitten im Dorf in einer Einzelzelle sitzen lassen.
    Umgekehrt sitzt mancher im Gefängnis seiner festgefahrenen Meinungen. Unternehmen wir wenigstens den Versuch, ihn zu besuchen oder tut er sich womöglich schwer, jemanden an sich heranzulassen, über seine schweren Gedanken, seine Depression zu sprechen, weil er schon so oft nicht ernst genommen wurde? Auch der bei uns weit verbreitete Alkoholkonsum kann sich schleichend so ausweiten, dass er zum persönlichen Gefängnis wird.

In unserer Zeit, gerade auch hier in unseren Dörfern, da gibt es massenhaft Gefängnisse. Selbstverschuldete und fremdverschuldete, und oft lässt sich das gar nicht so einfach sagen und unterscheiden; und von außen betrachtet, schon gleich gar nicht!

  • krank: Krankheit, ja da können wir auch mit. Krank, das war jeder von uns schon einmal, mehr oder weniger schlimm. Und wie gut hat es getan, wenn sich jemand um uns gekümmert, und die langen Stunden im Krankenbett durch seine Gesellschaft verkürzt hat; etwas zu trinken reichte, weil wir nicht selbst an das Glas mit dem erfrischenden Wasser gekommen sind.

Durch wenige Beispiele, die wir z.T. selbst schon am eigenen Leib erfahren haben, z.B. den Zustand krank zu sein und hilflos, möchte uns Jesus aufmerksam machen auf all die anderen Situationen, in die wir auch eines Tages gelangen könnten und dankbar für einfühlsame und hilfsbereite Mitmenschen wären.

Heute zum Volkstrauertag denke ich zunächst an die Jahre vor 1939:
da gab es sie, die vielen Arbeitslosen, die dann in ihrer momentanen Not ohne nachzudenken dem zugejubelt und zur Macht verholfen haben, der ihnen Brot und Arbeit versprochen hat. Das gelang ihm auch, indem Feinbilder geschaffen wurden. Und so begann eine beispiellose Hetze gegen Juden, Behinderte, Homosexuelle und Menschen, die nicht der – wie er es nannte – „deutschen Rasse“ angehörten, dazu kam das Hochfahren der Waffenindustrie, um sich die ganze Welt untertan zu machen. Ja, und dann kam der nächste Krieg 1939-45 und mit ihm und danach gab es sie auch bei uns in großer Zahl: die Hungrigen und die Durstigen, die Fremden, die Nackten und die Gefangenen und die Kranken. Meine schlesische Großmutter und ihre vier Kinder waren auch unter denen, die nicht wussten, ob und wie sie den nächsten Tag überleben würden. Und sie erlebten Menschen, die geteilt haben, ihnen zu essen, zu trinken und ein Strohbett gaben, Kranke und Verwundete gepflegt haben. Und die nicht zu Menschen in Not gesagt haben: Das ist alles meins, dafür hab ich geschuftet! Was wollen die da, wir lassen uns nicht wegnehmen, was wir uns erarbeitet haben.
Ich denke an die vielen Frauen mit kleinen Kindern, die auf der Flucht waren, Kinder, wie meine Mutter, die vor Hunger und Durst weinten und denen es bitterkalt war. Was habe ich da seit ich als Pfarrerin in die Häuser komme, nicht schon alles an zu Herzen gehenden Lebensgeschichten und Lebensbeichten gehört.

Und dann beschreibt Jesus die andere Seite: „Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen!“,
Welch andere Perspektive bekommt dieser Satz, wenn wir ihn mit den Bildern füllen, die uns beim Hören durch den Kopf gehen.
„Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan!“ sagt Jesus.
Umgangssprachlich können wir auch negativ formuliert sagen: „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem anderen zu!“

Der heutige Volkstrauertag kann uns, wenn wir uns darauf einlassen, unendlich viel Dankbarkeit dafür schenken, dass es unserem Land nun seit so langer Zeit vergönnt ist, Frieden zu haben, keiner Waffengewalt im eigenen Land ausgesetzt zu sein. Besonders bewusst ist mir das in der vergangenen Woche wieder geworden bei der Vorstellung des Buches „Nie wieder Krieg“ durch Bgm Christian Porsch und die akribischen Recherchen durch Werner Veigl in Haidenaab. Eine zu Herzen und an die Nieren gehende Beschreibung von u.a. 24 Soldatenschicksalen aus unseren Nachbardörfern während der Zeit des 2. Weltkrieges und danach.

Lassen Sie uns den heutigen Bibeltext mit dem Blick hinter den Vorhang Gottes als Anlass und Chance nehmen, im anderen Menschen tatsächlich den verborgenen Christus zu sehen; und allein schon aus diesem Grunde mit offenen Augen, dankbarem Herzen und barmherzigem Handeln durchs Leben zu gehen.

So gerne würde ich Predigten wie heute vor einer größeren Anzahl von Menschen halten, auch um deutlich zu machen, wie sehr sich ausbreitende Kälte und Egoismus in unserer Gesellschaft – wie ich meine – im Zusammenhang stehen mit dem zurückgehenden Glauben an Jesus Christus und dem Ernstnehmen von Gott, unserem Schöpfer.
Amen.

Es gilt das gesprochene Wort!

Friederike Steiner, Pfarrerin

Das könnte dich auch interessieren …